Das Wiener Unternehmen Ingenetix hat einen SARS-CoV2-Test entwickelt, der binnen etwa 40 Minuten Ergebnisse liefert und vergleichsweise preisgünstig ist. Das Unternehmen nutzte dabei das an der Klinik Donaustadt adaptierte „Loop-mediated isothermal amplification“-Verfahren (LAMP). Für die Durchführung des Tests sind keine Hightech-Laborgeräte nötig.
Neben Verhaltensregeln und Impfungen sind es aussagekräftige Test -Kits, die den Kampf gegen „Corona“ entscheiden werden. Was Letztere betrifft, gilt das Wiener Unternehmen Ingenetix auch international als Vorreiter. Zugute kommen ihm dabei langjährige Erfahrungen mit der Virus-Detektion im human und im veterinärmedizinischen Bereich. Auch beim Nachweis von Bakterien, Pilzen und Parasiten hat man sich längst einen Namen gemacht. Nach der Präsentation des Real-time-PCR-Tests „ViroReal® Kit SARS-CoV-2“ im März 2020 hatte die kleine, aber feine Biotech-Firma zuletzt im vergangenen Herbst mit dem rasch Ergebnisse liefernden und preisgünstigen Nachweis „ViroReal® Kit RT-LAMP SARSCoV2“ aufhorchen lassen. Er wurde für die Klinik Donaustadt in Wien zur Marktreife gebracht. Für das Zusammenfinden der beiden Partner sorgte die Wiener Wirtschaftsagentur.
ViroReal® Kit RT-LAMP SARS -CoV-2 nutzt zur Vervielfältigung der Erbinformation des Krankheitserregers das an sich bekannte, aber von den Fachleuten der Klinik Donaustadt zunächst entsprechend adaptierte „Loop-mediated isothermal amplification“-Verfahren (LAMP). Der daraus entwickelte LAMP-Test kommt ohne High-Tech-Laborgeräte aus. Im Vergleich zu Real-time-PCR-Tests verlangt er nicht nach einer aufwändigen RNA-Extraktion und auch „die Chemie“ ist stabiler. Nach erfolgtem Rachenabstrich wird die Probe einfach in Kochsalzlösung eingebracht und die LAMP-Reaktion durchgeführt. Die Erbgut-Vervielfältigung erfolgt bei einer konstanten Temperatur von 63 Grad Celsius. Das Testergebnis liegt bereits nach ca. 40 Minuten vor. Personen mit einem nach LAMP-Virus-positiven oder einem fraglich
positiven Testergebnis sollten sich allerdings mittels eines Real-time-PCR-Tests (= „Goldstandard“) endgültige Sicherheit verschaffen.
Bekanntes von SARS-CoV-1 ermöglicht rasches Arbeiten
Motivation für die Entwicklung des SARS-CoV-2-Tests war für Ingenetix der Umstand, dass zu Beginn des vergangenen Jahres noch kein solcher am Markt erhältlich war. Die Arbeiten daran begannen
unmittelbar nachdem die erste „Wuhan-Sequenz“ Eingang in die internationalen Datenbanken gefunden hatte. „Die größte Herausforderung“, so Unternehmensgründerin und Geschäftsführerin Irina Korschineck, „war dabei, dass eben nur eine einzige Sequenz dieses rRNA-Virus abgebildet worden war. Was uns zur Verfügung stand, waren allerdings die Daten von rund 450 SARS-CoV-1-Viren. Da diese Krankheitserreger aber sehr ähnlich aufgebaut sind, konnten wir anhand von Sequenzvergleichen jene Abschnitte auf der Erbsubstanz ermitteln, die auch für das Überleben des neuen Virus essenziell sind – die sogenannten ,konservierten Regionen‘.“
Der PCR-Test lag schließlich am 1. März vor. Die Nachfrage der diagnostischen Labors begann allerdings erst einige Wochen später. Mittlerweile hat Ingenetix einen weiteren Test, den „ViroReal® Kit SARS Coronavirus & Influenza A/B“ entwickelt, der zwischen Covid-19- und Influenza-Viren unterscheiden kann. Alle ViroReal®-SARS-Tests sind in der Lage, die mutierten Formen des Virus wie die britische Variante B.1.1.7 mit der identen Sensitivität zu detektieren. Was neue Mutationen betrifft, verweist man bei Ingenetix darauf, dass das stark wandelbare Oberflächenprotein, über welches das Virus an die Zelle andockt, nicht jener Faktor ist, mit dem die Diagnostiker arbeiten. Sehr wohl gehe es aber bei diesen neuen Mutationen um die Steigerung der Sensitivität, wofür die Real-time-PCR-Tests den besten Ansatz böten. Eventuell auch solche, die nach dem LAMP-Prinzip funktionieren.
Protektionistisches Beschaffungswesen
Zählte die 2003 gegründete Ingenetix zu den Vorreitern bei der Entwicklung der SARS-CoV-2-Tests, haben mittlerweile auch namhafte Konzerne dieses Geschäftsfeld für sich entdeckt. Für Korschineck überraschend war und ist dabei der Grad, in dem die Anwender der Tests den im jeweiligen Land angesiedelten Herstellern den Vorzug bei der Beschaffung einräumen: „Gerade das von der Pandemie besonders geplagte Großbritannien hat sich für uns als praktisch verschlossen erwiesen, während wir in Deutschland, Portugal und Irland zumindest einige Erfolge verzeichnen können. Neben Österreich sind unsere PCR- und LAMP-Tests aber in den südosteuropäischen Staaten sehr erfolgreich. Der Absatz bleibt im Wesentlichen auf Europa beschränkt.“ Bei der US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) seien die neuen Ingenetix-Tests bereits Anfang April 2020 zur Begutachtung eingereicht worden. Seither erhalte man immer wieder Mails mit der vielversprechenden Nachricht: „Wir arbeiten daran.“ Eine globale Zulassung für COVID-Tests gibt es nicht.
Die Auslagerung von Europas Produktionskapazitäten zeigt ihre Schattenseiten
Als limitierender Faktor könnte sich für die an der BOKU ausgebildete Lebensmittel und Biotechnologin und ihr Team auch die Knappheit der für die Herstellung der Tests notwendigen Ingredienzien in Europa erweisen. Der LAMP-Test wurde auch aus diesem Grund entwickelt. Korschineck führt in diesem Zusammenhang insbesondere die Transkriptasen und für das PCR-Verfahren die Taq-Polymerase ins Treffen. Kaum weniger wichtig sei das Trockeneis, auf dem diese Enzyme geliefert werden. Last but not least gehe es auch um die Verfügbarkeit von simpler Plastikware und von Wattestäbchen für die Probennahmen. Die im Pharmasektor über viele Jahre vorgenommene Auslagerung von Produktionskapazitäten Richtung Asien zeige gerade in der gegenwärtigen Pandemie ihre Schattenseite. Derzeit sei Ingenetix noch für rund ein Jahr mit dem Nötigen ausgerüstet.
Große Unterschiede in der Aussagekraft der Testmethoden
Was den Stellenwert von Test und Impfung im Kampf gegen „Corona“ betrifft, stellt die Managerin klar, dass „beide Schienen extrem wichtig“ sind und sich daran noch für geraume Zeit nichts ändern wird. Große Unterschiede bestätigt sie hingegen hinsichtlich der Aussagekraft der Ergebnisse der diversen COVID-Test-verfahren. Eine Infektion mit dem COVID-19 -Erreger startet mit der Aufnahme von rund 500 einzelnen Viren. Bei der Mutation B.1.1.7 ist die Zahl geringer. Sind die Viren bereits in die Zellen – etwa des Nasen- oder Rachenraums – eingedrungen, ist deren Nachweis generell schwierig. Das „diagnostische Fenster“ öffnet sich aber wieder, nachdem die Vermehrung der Viren in den Zellen stattgefunden hat und die Kopien freigesetzt werden. Jede befallene Zelle entlässt 10, 500 oder 1.000 neue Viren. Bei den Tests geht es nun darum, möglichst bereits die ersten dieser Erreger zu erfassen. Statistisch gesehen reichen dem Real-time-PCR-Test schon ein bis zehn davon aus. Eine Detektion sollte demnach bereits im Laufe des Tages der Infektion möglich sein. Real-time-PCR-Geräte lassen dadurch die Aussage zu, dass eine Person für rund eine Woche „nicht infektiös“ sein wird. Eine bereits beginnende Erkrankung des Untersuchten ist dabei allerdings nicht auszuschließen. Der LAMP-Test benötigt für den Nachweis zirka ab 100 Viren, woraus sich eine Aussagekraft für rund drei Tage ergibt. Antigen-Tests sind noch weniger sensitiv. Hinsichtlich des durchschnittlichen Anteils „falsch-negativer“ Testergebnisse verweist Korschineck im Fall des Real-time-PCR-Tests auf die darin integrierte „Interne Positive Kontrolle“ (IPC), die „falsch-negative“ Ergebnisse praktisch ausschließe, da die IPC die Extraktion und die Amplifikation kontrolliert. Beim LAMP-Test sei die Sache nicht so gut im Griff. Bei diesem Schnelltest könne es mehr „falsch-negative“ Resultate geben. Deren Anteil konnte im Zuge von firmeninternen Auswertungen mit unter einem Prozent beziffert werden. Auch die Ingenetix- Geschäftsführerin bringt die gegenwärtige COVID-19-Pandemie mit der fortschreitenden Globalisierung in Verbindung, die eben auch bedeutende Risiken berge. Zugleich erinnert sie daran, dass keineswegs nur von Wildtieren auf den Menschen überspringende Erreger für Probleme sorgen: „Auch innerhalb der Nutztierzucht tauchen immer wieder höchst gefährliche Viren auf.“ Zusammenfassend erwartet Korschineck, dass die Welt SARS-CoV-2 schließlich gut bewältigen werde – nicht zuletzt dank der Impfstoffhersteller. „Das Virus wird uns aber weiterhin begleiten und am Ende einen den Influenza-Viren vergleichbaren Stellenwert einnehmen.“
Ref: https://www.chemiereport.at/epaper/202101-2/index.html#46
PDF: chemiereport-2021-1-46